"Opernwelt"
Zürich | Verdi: Otello 30.11.2011
Kreuz und Moschee
Sicher, Verdis effetto ist da. Aber es ist doch ein recht manierlicher Sturm, der da durchs Züricher Opernhaus tobt. Unsere Nachmittagsvorstellung des „Otello“ nimmt erst allmählich Fahrt auf, dann jedoch gewaltig. Daniele Gatti, Chefdirigent für überschaubare drei Jahre, scheint sich immer mehr zu entfalten. Ist die Intrigenmine erst mal losgetreten, wird Giuseppe Verdis Oper von einem unaufhaltsamen, alles beiseitefegenden Sog auf die Katastrophe hin geprägt. Der zweite Akt gipfelt in einem fast schon überhitzten, überstürzten Schwurduett. Die „Massen“-Szene des dritten türmt sich hochdramatisch auf. Das Eigentliche ist freilich die riesige Ausdrucksspanne, die Gatti durchmisst. Feinfühliger sind die Liebesduett-Pianissimi kaum zu artikulieren, zarter nicht Desdemonas ahnungsvolles Zu-Bett-Gehen im Finalakt. Dafür nimmt der Dirigent sich alle Zeit der Welt, ohne dass man je das Gefühl hätte, er dehne die Szene über Gebühr.
Das Problem der Züricher Neubearbeitung von Verdis Alterswerk ist die Bühne. Das heißt: Über weite Strecken vollzieht der Regisseur Graham Vick den „Otello“ sorgsam, vernünftig und nicht ohne Spannung nach. Dass der Titelheld seinen „Esultate!“-Auftritt am Rednerpult vor einem Büschel Mikrofone absolviert, dass beim Besuch des venezianischen Gesandten die TV-Kamera dabei ist, erhellt nichts Wesentliches, stört aber auch nicht. Überflüssig mutet der Rekurs auf die Kriegssphäre im Nahen Osten an, die Paul Browns Szene heraufbeschwört – Hinweise darauf, dass Otello für Vick ein maurischer Söldner ist, der Venedigs Außenposten Zypern vorm türkisch-islamischen Terror bewahrt.
Der Panzer, das ausgebrannte Auto helfen allerdings so wenig wie Ölfelder, Raffinerien, Städte, die da brennen – auch wenn sie dem Feuerchor eine zynisch-makaberen Kontrapunktpointe unterlegen. Sie spielen nicht wirklich mit, sind flüchtige und damit wohlfeile Blitzlichter. Sie sind der Szene nicht einkomponiert, schaffen keine neue Ebene, bleiben folgenlos. Kreuz und Moschee, die anfangs aufscheinen, verschwinden irgendwann und werden nicht vermisst. Weit diskutierenswerter: Otello ist bei Vick ein Weißer unter Weißen und ein Außenseiter nur über seinen Charakter. Die zyprische Menge beginnt sich angesichts von Otellos Sieg über die Türken Gesicht und Körper zu schwärzen, und so steht der „Mohr“ anders als bei Shakespeare und Verdi als vereinzelter Weißer da. Der Regisseur erblickt in ihm im Übrigen keineswegs den zum Opfer gewordenen „edlen Wilden“. Die Tötung Desdemonas ist in Vicks Augen ein kaltblütig geplanter „Ehrenmord“.
Peter Seiffert erkrankte, und José Cura, der erst später vorgesehen war, kam so zu seiner zweiten Zürcher „Otello“-Inszenierung in Folge. Und er ist auch hier wieder der baritonal grundierte, materialreiche Monsieur 100.000 Volt des Tenorgensangs, immer nahe daran, auf imponierende Weise zu viel zu geben, letztlich dann doch beeindruckend durch seine Identifikation mit der Rolle. Er lässt nie unberührt. Das hat Fiorenza Cedolins´ Desdemona mit ihm gemeinsam: leuchtend in der Forte-Höhe, sehr fein, sehr behutsam im fast wesenlosen Pianissimo. Elegant und geschmeidig der Cassio von Stefan Pop, neugierig erwartet vor allem jedoch Thomas Hampsons erster Jago: ein auch vokal beinahe beiläufig agierender Verleumder, ausgesucht phrasierend, die Stimme weiter gewachsten, noch durchdringender, ohne tatsächlich der klassische italienische Bariton zu sein. Sein Eigenstes gibt er prompt in der Traumerzählung – eine Liedszene mit „Erlkönig“-Zügen.
Heinz W. Koch
Peter Seiffert fell ill and José Cura, who was only scheduled later, came to sing his second “Otello” production in Zuerich in succession. And also here he´s once again the baritonal grounded, rich of material Monsieur 100.000 volt of tenor singing. And imposingly always close to give too much, but in the end however impressive because of his identification with the role. He never leaves you untouched.